Waren die Neanderthaler wirklich so anders als der Homo Sapiens und waren sie ihm unterlegen? Die neue Meinung der Wissenschaft
Die Neandertaler wurden schon immer als unsere entfernten Verwandten angesehen, die unserem direkten Vorfahren, dem Homo Sapiens gegenüber als "minderwertig" galten. Aber ist das wirklich der Fall? Die Wissenschaft hat eine neue Perspektive auf diesen möglichen Irrglauben eröffnet.
Neanderthaler haben den Ruf, grob und beschränkt gewesen zu sein
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Die weit verbreitete Meinung über die Neandertaler ist überall die gleiche: Diese Hominiden genossen nie einen besonders guten Ruf und gelten auch 40 000 Jahre nach ihrem Aussterben noch als minderwertig gegenüber den ersten Menschen, den Homo Sapiens. Tatsächlich unterschieden sich die Neandertaler anatomisch von unseren direkten Vorfahren: Sie hatten einen gedrungeneren, kräftigeren Körper, einen krummeren Rücken, ein Kommunikationssystem, das hauptsächlich auf Grunzlauten basierte, und eine sehr unhöfliche Art, sich zu benehmen, mit begrenzten intellektuellen Fähigkeiten.
Die erste Entdeckung ihrer Existenz fand vor fast zweihundert Jahren statt, und seither wurde die oben genannte Meinung nie ganz verworfen. Obwohl im Laufe der Zeit viele Informationen über diese Spezies gesammelt wurden, gibt es immer noch viele Zweifel an der tatsächlichen Rolle und den Fähigkeiten dieser alten Hominiden, die den evolutionären Kampf gegen den Homo Sapiens verloren haben. Die Mehrheit der modernen Bevölkerung hat jedoch immernoch 2 % Neandertaler-DNA, mit einem etwas höheren Prozentsatz in den ostasiatischen Ländern. Dies belegt die Kreuzung zwischen den beiden Arten, als die ersten Menschen von Afrika nach Eurasien zogen und dort auf Neandertaler trafen. Doch während man gemeinhin davon ausgeht, dass es sich um zwei verschiedene Arten handelt, hat eine Gruppe von Forschern eine neue Möglichkeit in Betracht gezogen.
Neandertaler wussten geschickt mit Feuer umzugehen: Das beweist eine Studie
PLOSE ONE
Diego E. Angelucci, Mariana Nabais und João Zilhão untersuchten 20 Jahre lang den Fundort Gruta da Oliveira in Portugal. Am Ende ihrer Arbeit veröffentlichten sie eine Studie, in der sie ihre Schlussfolgerungen erläuterten. Der untersuchte Ort wurde vor 71 000 bis 93 000 Jahren von Neandertalern besiedelt, die einen Teil ihrer Zeit in den Höhlen in Gesellschaft zahlreicher Tiere, darunter Bären, Luchse, Wölfe und Löwen, verbrachten. Die Wissenschaftler sammelten die Überreste und Beweise ihrer Wanderungen und beschrieben ausführlich ihre Ergebnisse und die Überlegungen, zu denen sie hinsichtlich ihrer Verschiedenheit zum Homo Sapiens kamen.
Diego Angelucci, Archäologe an der Universität von Trient, Italien, und Erstautor der Studie, sagte: "Ich würde eher von verschiedenen Menschenformen als von verschiedenen Arten sprechen." Wenn es also stimmt, dass sich die Neandertaler stark von uns unterschieden, bedeutet das nicht, dass sie minderwertig, weniger entwickelt und "dümmer" als der Homo Sapiens waren. Diese Hominiden nutzten nach den Erkenntnissen der Forschungsautoren beispielsweise ausgiebig das Feuer: Verbrannte Knochen zeugen von ihrer Fähigkeit, Flammen bewusst einzusetzen und sogar verschiedene Fleischsorten, darunter Pferd, Ziege und Hirsch, an einer genau ausgewählten Stelle zu "kochen".
Die Entdeckung der Neandertaler, die in einer Höhle im Jahr 1864 geschah, stellte einen entscheidenden Wendepunkt für die Wissenschaft dar. Sie belegte die Existenz anderer Menschen neben denen, die bis heute überlebt und sich weiterentwickelt haben. So schlug William King, ein Geologe anglo-irischer Herkunft, vor, dass ihr sehr unterschiedliches Aussehen eine eigene Kategorie von Hominiden bedeuten könnte.
Die Debatte über die Neandertaler geht weiter: Sind sie dem Frühmenschen ebenbürtig?
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Im Laufe der Zeit und mit dem Zugang zu neuen Informationen über diese entfernten Verwandten hat die Wissenschaft jedoch allmählich ihr Bild und ihre Einordnung neu bewertet. Obwohl die Vorstellung, dass Neandertaler plump und von geringer Intelligenz waren, immer noch tief verwurzelt und weit verbreitet ist, wurde entdeckt, dass sie nicht nur in der Lage waren, geschickt mit Feuer umzugehen und Steinwerkzeuge herzustellen, sondern auch die Leichen ihrer Angehörigen zu begraben und rudimentären Schmuck anzufertigen. Ihre Gewohnheiten waren also unseren modernen kulturellen Gewohnheiten gar nicht so unähnlich, was sie zu einer nicht zu unterschätzenden Spezies macht. Angelucci erklärte: "Unter Archäologen besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass sie das Feuer zu nutzen wussten. Aber es ist eine Sache, Feuer zu benutzen, das durch natürliche Prozesse wie Blitze ausgelöst wurde. Eine andere Sache ist es, Feuer zu entfachen, es mit Holz am brennen zu halten und es zum Kochen, Heizen und zur Verteidigung zu benutzen". Es ist nicht bekannt, wie sie das Feuer entfachen konnten, aber Angelucci zufolge könnten die Methoden denen ähneln, die in anderen Regionen während des Neolithikums verwendet wurden.
Da die Neandertaler mehrfach mit den so genannten ersten Menschen in Kontakt kamen, was zu Kreuzungen führte, wird die Theorie, dass wir zu zwei verschiedenen Arten gehören, weiter diskutiert. Die Debatte ist noch offen, aber man muss ernsthaft annehmen, dass diese entfernten Verwandten von uns es verdienen, als gleichberechtigte Geschwister betrachtet zu werden. Was meinen Sie dazu?