Dies ist die traurige Geschichte des Glockenturms, der aus dem Reschensee aufragt
In Südtirol, genau gesagt in der Gemeinde Graun im Vinschgau (Bozen), erhebt sich ein ganz besonderes Bauwerk, vor allem aufgrund der Position in der es sich befindet. Aus den Wassern eines enormen Bergsees spitzt ein romanischer Glockenturm hervor, der im Lauf der Jahre zum ikonischen Sinnbild geworden ist, das man auch auf Postkarten bestaunen kann. Nur wenige wissen jedoch, was sich hinter diesem Bauwerk verbirgt. Eine legendenumrankte Geschichte, die leider auf Ungerechtigkeit beruht.
via venosta.net
Der Reschensee war zu der Zeit in der der Glockenturm entstand nicht so groß wie heute. In dieser Gegend gab es eigentlich drei Seen: Den Reschensee, den Graunsee und den See von St. Valentin auf der Heide. Heute haben sich die ersten beiden im großen Reschenbecken vereint, der dritte ist noch alleine.
Das Projekt entstand 1910 zu Gunsten der Produktion von Wasserstrom. Aber nur 10 Jahre später wurde das Projekt in Frage gestellt. Der ursprünliche Plan war weniger invasiv und sah es vor, dass das Gewässer um nur 5 Meter gehoben werden sollte. Aber 1939, mit dem Einstieg der Montecatini-Gruppe begannen die Arbeiten, den Wasserspiegel um 22 Meter anzuheben. Der Beginn des Krieges führte dazu, dass die Arbeiten still standen, aber sofort nach Kriegsende wurden die Arbeiten wieder aufgenommen.
Für den kleinen Ort Graun im Vinschgau und für einen Teil der Reschengemeinde bedeutete dies das Ende. Die Bürger (über 150 Familien) interpretierten dieses Projekt als großen Affrond der Regierung gegen sich, vor allem weil es zu einem Zeitpunkt stattfand, in dem man eigentlich andere Prioritäten hätte setzen müssen.
Italien befand sich in einem Zustand der Zerstörung und Armut, aber das hielt die Unternehmer nicht auf: Sie bezogen Sprengstoff aus Argentinien und sprengten 35 km Tunnel. 1,5 Millionen Kubikmeter Zement und 10.000 Tonnen Stahl wurden verbaut.
Die Bürger waren verzweifelt angesichts des Verlust ihrer Heimat, ihrer Geschichte und ihrer Lebensgrundlage. Sie baten Pabst Pius XII um Hilfe. Ohne Erfolg. Das Projekt wurde 1949 abgeschlossen und der See wurde 1950 mit 120 Millionen Kubimeter Wasser geflutet.
Was passierte mit den schönen Dörfern im Tal? Sie wurden dem Erdboden gleich gemacht und an einem anderen Ort wieder "errichtet". In der Realität waren die Alternativunterkünfte aber nicht viel mehr als eilig gezimmerte Baracken. Das motivierte viele der Bewohner dazu, freiwillig ganz woanders hin zu ziehen.
Von dem Dorf Graun blieb nur der romanische Glockenturm aus dem Jahr 1300, den das Wasser nicht übersteigen konnte.
Das Tal ist bei Wintersportlern und Wanderern sehr beliebt und bietet ein einzigartiges Panorama. Aús dem kristallklaren Wasser des Sees erhebt sich der Turm. Von Zeit zu Zeit hört man den Klang seiner Glocke durch das Tal klingen. Eine Melodie, die wie ein Wehklagen klingt und uns daran erinnern soll, dass unter dem Wasser eine ganze Gemeinde schlummert, die der Profitgier geopfert wurde.